Aus der stillen Tiefe, aus dem Meere
gestrandet da, im Sog der Wellen,
Muscheln sich im Sand gesellen ...
finden sich Gehäuse, leere ...
Lass uns lauschen manchen Lehren
von dem Leben in den Tiefen,
wohin wir tauchten, wenn wir schliefen,
wo wir lauschen schweren
Rätseln ... zu verstehen,
was in jener Welt geschehen
die uns fremd und doch bekannt ...
möchten ihr Geheimnis sehen,
wach in ihre Tiefe gehen,
schauen, was aus jener Welt uns bannt…
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette I
An das Licht der Sonne heben,
was da unten dämmert ...
was ans Tor der Seele hämmert ...
Ist es Tod, ist es das Leben?
Leben diesen Schalen geben,
die geborgen in der Hand ...
Vergehen, Werden sich da fand ...
Sein der Tiefe lässt erbeben.
Meerestiefen, Meeresweiten
Freude sie und Schmerz bereiten
auf dem Wege, den wir suchen.
Auf den wir uns schon längst begeben,
in der Wirklichkeit zu leben,
den wir lieben und verfluchen.
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette II
Ist es der Tod, der uns getrieben,
war's der Durst nach ew‘gem Leben,
der die Kühnheit uns gegeben,
All und Eines nur zu lieben?
Wo ist des Wortes Kraft geblieben?
'Lieben' .. Hülle nur und leere Schale?
Tote Leere, fahle ...
Menschenseele wird zerrieben ...
Tote Leere, abgestorben,
was das Land vom Meer erworben,
wenn ich nur noch Hülle bin ...
Muscheln füllen,
Leben hüllen,
Leben lieben ... wahrer Sinn ...
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette III
Wollen wir die Muscheln zählen,
im Meer erahnen ihre Zahl?
Des Unvermögens schwere Qual
soll unseren schwachen Willen stählen.
Taucher, ohne dich zu quälen,
tauche in den tiefsten Grund ...
Tu uns Sinn des Lebens kund ...
Mit dem Meere sich vermählen…
Gewalten stehen uns entgegen,
zu verhindern solchen Segen,
weil sie arm und neidisch sind ...
Wer soll diese Riesen zähmen,
die die guten Kräfte lähmen,
wenn nicht du, du Menschenkind…?
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette IV
Braust vom Meer der steife Wind
Muscheln, Sand und Schicht um Schicht,
vergraben, fern vom Sonnenlicht,
dessen Strahlen Leben sind.
Nun, lache Leben, liebes Kind,
lustig aus der toten Schale ...
Verspotte trockne Lippen, schmale -
lädst zum Tanze uns geschwind.
Lädst zum Tanz mit Meer und Wellen ...
Wer soll da Musik bestellen,
wo Klänge in und um uns sind?
Und wir tanzen, tanzen, tanzen ...
Leben fügt sich hier zum Ganzen -
und wir leben, schönes Kind.
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette V
Taucher in die Tiefe tauch‘
im Kampfe mit Gewalten reife…
nach der feinen Muschel greife…
bewegt, belebt vom Lebenshauch.
Fülle leere Schalen auch,
die oben auf dem Land gestrandet…
deren kalk’ne Schalen tief versandet…
weck‘ sie auf im Lebenshauch…
Und bewegt von Lebenswogen,
fühlt alles sich zu dir gezogen…
Venus, schönste Muschelfrau…
Und belebt auf diesen Wegen,
zu Füssen wir die Muscheln legen…
in denen sind die Perlen…schau…
Fritz Frey 2005
Muschelsonette VI
In der Tiefe will das Grauen
Muscheltauchers Nacken
Mit nasskalt fahlen Fingern packen
ihm verwehren dieses Schauen…
Doch da schwimmen Meerjungfrauen…
deren Stimmen sanft erklingen,
tiefen Schlaf dem Grauen singen…
Taucher will nur schauen, schauen…
Schauen will er ihre Macht…
Macht, die über Grauen lacht,
hellen Klang der Tiefe bringt…
Der den Muscheln Perlen schafft,
aus des Lichtes Lebenskraft,
dessen Werk nur hier gelingt…
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette VII
Eine Muschel öffne dir
rein erglänzt die Perle drin …
gebildet wohl aus feinstem Sinn …
vom Leben wohl … zur Liebe dir …
Schmückt dich diese Perle hier,
die das dunkle Meer gebiert …
wo sich jedes Licht verliert,
bleibt sie allen Lichtes Zier …
Trage diese Perle nun
als Geheimnis durch dein Tun …
Rein erstrahlt in deinem Leben,
Was als Licht im Meer geboren,
geht dir niemals mehr verloren …
strahlt aus Nehmen, strahlt aus Geben …
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette VIII
Schau nun dieses Wunder, schau …
aus dem Licht im Meer geboren,
Licht und Leben still verschworen …
Venus, Bild der Perlenfrau …
Reiner Perle still vertrau,
stiller Glanz lässt dich erklingen,
lässt deine Werke froh gelingen …
und was du tust, lässt niemand lau …
Geh, Taucher, tätig durch dein Leben …
Dein Nehmen wird zum reichen Geben …
Dein Urquell ist der Ozean …
Mit Mut du dich daraus entwunden,
im Kampfe schmerzerfüllter Stunden …
dass Leben durch dich wirken kann …
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette IX
In der Perle glänzt die Welt
Gelingt’s dir, wach sie zu ergreifen
Gelingt’s zum Glücke dir zu reifen …
Ist’s alles, was auf Erden zählt.
Drehst du unterm Himmelszelt,
die Perle langsam ganz …
siehs’t in leicht beschwingtem Tanz,
was dich auf Erden hält …
Alle Wesen … Tiere, Pflanzen
alles fügt sich hier zum Ganzen …
Und du stehst da mitten drin.
Mittendrin im Sonnenschein
Sehen deine Augen rein …
Und du gibst dem Ganzen Sinn …
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette X
Wie im Meer ein steter Fluss
Von Lebenswellen sich ergiesst,
pulst, was durch deinen Körper fliesst,
in des Lichtes zartem Kuss …
Setz nun Taucher deinen Fuss
Auf das feste Land, betrachte,
was es liebt an dir und achte ...
Alles glänzt aus einem Guss …
Wie Leben in den Augen glimmt,
wie Licht dich leicht und fröhlich stimmt …
und nächtlich dich doch leiden
lässt …
Das ist es, was dich aufrecht hält,
als Träne tief in deine Seele fällt,
zur Perle wird’s hier rein und fest.
Fritz Frey (2005)
Muschelsonette XI
Hast du die Perle nun erworben
Im unergründlich tiefen Meere …
Fällt von dir die schwarze Schwere,
die deine Hülle dir verdorben …
Wie du die Perle dort umworben
Auf deine Art, in deinem Sinn,
du wusstest nur, dass Leben drin …
und alles andere erstorben …
Wie oft der Taucher lautlos diesen Namen rief …
In der dunklen Fluten Tiefe tief,
sich im Verweilen Ruhe schenkte,
Lautlos hallte übers Meer der Schrei,
Geburtsscherz … endlich frei,
das Schauen zu der Perle lenkte …
Muschelsonette XII Fritz Frey (2005)
Die 12 Muschelsonetten vom Autor, Fritz Frey, geb. 10.05.1949, sind im zweiteiligen Gedicht- und Erzählband «Jahr und Tag» erschienen.